Gaming rückt immer weiter in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Trotzdem lasten dem Begriff „Gaming“ noch zahlreiche Vorurteile an. Was an ihnen dran ist, erzählt Off-World Gaming CEO Christian Vad.

Videospiele begeistern Massen. Dennoch blicken ihnen viele weiter skeptisch entgegen und verbinden sie mit Zeitverschwendung oder einem schlechten Einfluss. Deutlich wird das im Vergleich mit anderen Medien. Wer sich unter Fremden als Cineast outet, erntet anerkennendes Nicken und wird vielleicht sogar nach Empfehlungen gefragt. Schließlich sind Filme ein Kulturgut, eine Kunstform und vor allem die Möglichkeit unter Leute zu gehen. Gamer dagegen verkümmern einsam in ihren Kellern, wie jeder weiß.

Seit März 2023 bietet Off-World Gaming Videospiel-Begeisterten und E-Sportlern in Berlin eine neue Zuflucht. Im futuristischen Setting gibt es für Gamer auf neondurchfluteten 350m² alles, was sie zum Zocken brauchen: leistungsstarke Gaming-PCs, Verpflegung und sogar Übernachtungsmöglichkeiten. Im Gespräch erzählt Gründer und CEO Christian Vad (41), was er von Vorurteilen über Gaming hält.

(Das Interview wurde auf Englisch geführt und anschließend übersetzt)

Philosaur: Danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Als Gründer und CEO einer Gaming-Location: Bist du selbst Gamer?

Christian: Meine Gaming-Erfahrung ist eher überschaubar. Ich habe als Teenager sehr intensiv Battlefield gespielt. Für mich war das eine Art von Selbstbehandlung, weil ich unter sehr starken Angstzuständen litt, wegen meines damaligen  Jobs. Ich hab damals eine Bar in einer sehr verrückten Gegend gemanagt. Da gab es oft Zwischenfälle mit der Polizei. Das war alles in Dänemark, in Kopenhagen. Diese Angstzustände waren für mich eine neue Sache. Irgendwann hab ich gemerkt, dass ich beim Spielen sehr viel Adrenalin freisetze. Davon hatte ich viel zu viel, denn bei Angstzuständen gehen deine Stresshormone durch die Decke. Gaming war für mich ein Weg, mich wieder auf Etwas zu fokussieren, das vor mir ist und auch gleichzeitig all die negative Energie raus zu lassen. Und das wiederum führte dazu, dass ich extrem gut in Battlefield wurde.  

Philosaur: Was genau ist eigentlich Off-World Gaming?

Christian: Es ist wirklich ganz einfach. Es ist die Verwirklichung der Idee, dass jeder in der Lage sein sollte, rauszugehen, um an Social-Gaming – also dem gemeinsamen Zocken – mit seinen Freunden teilnehmen zu können. LAN-Gaming ist ein im Großen und Ganzen neues Konzept für Deutschland. Aber während der kurzen Zeit, in der es in den frühen 2000ern existierte, war es ganz klar extrem beliebt. Selbst heute – 20 Jahre später – kommen Gruppen von 10, 20, sogar 25 Leuten, die 30 Jahre und älter sind und plötzlich da stehen und meinen: “Holy Shit! Das hab ich seit 2000 nicht mehr gemacht”. Es ist wie die Wiedereinführung von etwas, das es mal gab und einen vorherrschenden Bedarf hatte.

Philosaur: Du selbst bist aber gar kein großer Gamer mehr. Wieso dann eine Gaming-Location?

Der Grund warum ich Off-World Gaming eröffnet habe, ist mein Sohn. Wann immer wir in Kopenhagen waren, fragte er mich “Papa Papa, können wir rausgehen und spielen?”. In Kopenhagen gibt es viele von diesen Orten. Da gibt es rund zwölf Arenen ähnlich wie Off-World Gaming – und sogar noch größer. Die größte dort hat 300 Plätze. Und sie sind immer super beliebt. Es gibt eine richtige Kultur rund um LAN-Gaming dort. Mein Sohn geht dann mit all seinen Freunden dahin und es ist ein komplett soziales Ding. Es ist komisch, dass es das in Deutschland nicht gibt. Immer wenn wir dann in Berlin sind, fragt er mich, warum es hier solche Orte nicht gibt. Und ich nahm die Idee auf und dachte: “OK, wir müssen so einen Ort schaffen”.  

Philosaur: Das heißt, hier finden sich Nostalgiker und Neulinge, die das Ganze zum aller ersten Mal erfahren. 

Christian: Exakt. Das ist wirklich fantastisch, weil wir tatsächlich ein Fundament schaffen. Nicht nur für etwas, das eigentlich mal existiert hat, sondern ein komplett neues Fundament für andere Gamer. Also auch E-Sportler, die zum Trainieren kommen. Wir haben eine Menge Leute, die hier sind, um professionell zu spielen.  

Du kannst also vorbeikommen, dich hinsetzen und die Spiele spielen, die du magst – gegeben der Annahme, dass du über 12 Jahre alt bist, beziehungsweise innerhalb der bestehenden Regularien für die Spiele, die du spielen willst. Das sind die Casual-Gamer – die Leute, die hier zum ersten Mal herkommen. Dann gibt es quasi die Oldtimer, die noch einmal ihre Jugend durchleben wollen. Die noch einmal ihre LAN-Games spielen. Und dann gibt es noch die dritte Gruppe: Die Pro-Gamer, die zum Trainieren herkommen und um sich für Wettkämpfe zu qualifizieren. Ansonsten veranstalten wir noch Events und Boot-Camps. Das heißt, dass Pro-Gaming-Teams kommen und sich einen Raum mieten, wo sie dann zusammen trainieren und auf Turniere vorbereiten.

Philosaur: Warum ausgerechnet hier in Berlin?   

Christian: Der Grund, warum es in Berlin ist, ist eigentlich recht simpel. Es ist ein blauer Ozean. Es gibt keine Konkurrenz soweit ich das sehe, weil jeder, der versucht hat, etwas zu schaffen, das wie das hier aussieht, es nicht richtig macht. Und wir arbeiten mit etwas, dass ich das Kopenhagen-Modell nenne. Ich glaube das ist der Grund, warum wir gerade alles plattmachen. Im dem Sinne, dass wir so viele Kunden haben, wie wir eben haben. Und das sie hier herkommen und meinen, es ist so viel besser als überall anders. Es geht nicht nur ums Equipment. Und auch nicht um die Leute, die hier arbeiten. Es geht darum, wie du dich aufstellst und die Community integrierst. Ich glaube, dass unser Ziel, eine Community um dieses Spielkonzept zu bilden, wirklich Früchte trägt. Der Community-Aspekt ist so wichtig für Orte, wie diesen. Wir wollen nicht funktionieren, wie ein bestialisches Großunternehmen. Ich komme aus Dänemark. Ich bin Sozialist und ich denke, jeder, der in so einen Laden kommt, sollte die Möglichkeit haben, direkt mit dem Management sprechen zu können. Sie sollten sich willkommen fühlen, weil wie zum Teufel willst du sonst eine Community schaffen?

Philosaur: Es gibt Leute, die glauben, Gaming macht gewalttätig. Wie siehst du das?

Christian: Ich glaube das ist absoluter Bullshit. Für mich macht Gaming das genaue Gegenteil. Es führt zu Nicht-Gewalt. Wir haben Leute hier, die die ersten zwei bis drei Male, die sie herkommen, rumpöbeln und sich wie Rowdys verhalten. Dann fangen sie an zu spielen, werden Mitglieder, sie verhalten sich gemeinschaftlich, sie räumen hinter sich auf, sie machen keinen Bullshit. Es ist fast schon wie eine Bildungseinrichtung. *lacht* Ich finde das witzig. Mich haben viele davor gewarnt, dass es viel Ärger geben wird. Wir hatten noch nie Ärger hier.  

Es ist das Gleiche wie bei Karate oder Boxen. Es ist eine Arena, in die du gehen und wütend sein kannst und ein Umfeld hast, in dem es der Gesellschaft nicht schadet. Du schaffst damit quasi ein Framework, in dem Leute ihre Frustration auf gesunde Weise herauslassen können. 

Philosaur: Also hilft Gaming gegen Aggression und Gewalt.

Christian: Abso-fuckin-lutely. Ich habe in einem Umfeld gearbeitet, das voll war von Bandenkriegen, Drogen, Dealern und Polizeigewalt. Ich hab festgestellt, dass es an den Orten, die ich in meiner Freizeit besucht habe, nie irgendwelchen Bullshit gab. Das ist witzig, weil all die Leute, die da hingegangen sind, diejenigen waren, die sonst für Ärger sorgten. Das ist doch ein interessanter Gedanke. Aber ich habe nie weiter darüber nachgedacht. Ich erinnere mich gelesen zu haben, dass die Roskilde University das Phänomen mit einer Untersuchung bestätigt hat. Das kam dann in den Nachrichten, weil einige der staatlich geförderten Cafés geschlossen wurden und kurz darauf die Kriminalitätsrate durch die Decke geschossen ist. Für mich war es deshalb wichtig Off-World Gaming in einer Nachbarschaft mit “sozialer Vielfalt” aufzumachen, in der es viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Ich sehe in solchen Umgebungen oft, dass es keine Gemeinschaften gibt, zu denen sie sonst gehen können. Und Gaming ist etwas das zugänglich ist und auch etwas, worauf sie wirklich abfahren. Das finde ich spannend. Nicht nur in Bezug darauf eine Community zu schaffen, sondern auch Kinder aus ihren Zimmern zu holen. Sie sitzen eben nicht nur allein rum. Sie gehen raus, sie spielen mit ihren Freunden und es wird zu einer sozialen Interaktion. Die Guten unter ihnen investieren da viel Zeit rein. Und wenn du als junger Gamer Zeit investierst, kannst du auch aufwachsen und Geld machen als Streamer oder Pro-Gamer. Wir machen nicht nur etwas für die Community, sondern auch für Individuen, die kommen, um ihre Fähigkeit auszubauen und eine Karriere im E-Sport zu verfolgen.   

Philosaur: Gesundheit ist auch ein wichtiger Faktor im E-Sport. In deinem Shop hast du Soft-Drinks, Süßigkeiten und Instant-Nudeln im Angebot. Wie passt das zusammen?  

Christian: Ich schätze mal, gar nicht. Ich meine was Leute in ihrer Freizeit machen und wie sie ihre körperliche Gesundheit pflegen, ist ihnen überlassen. Und ich schätze, es gibt da nichts, dass ich tun oder nicht tun kann, damit Leute ihre Lebensentscheidungen überdenken. Was wir hier machen ist eine Entertainment-Erfahrung zu bieten mit unternehmerischen Ecken. Aber wie Leute ihr Leben leben, ob sie Wasser oder Softdrinks trinken wollen, das ist ihnen überlassen. Die Leute können aber ihr eigenes Essen mitbringen.  

Philosaur: Gaming ist für Männer. Wie siehst du das?  

Christian: Meine persönliche Meinung: Das ist absoluter Schwachsinn. Statistisch betrachtet, kommen zu uns hauptsächlich Männer zwischen 20 und 40 Jahren. Darüber hinaus haben wir aber auch einige Frauen, die herkommen, was mich auch sehr überrascht hat. Und jedes Mal, wenn wir Frauen hier haben, sehen wir, dass sich das soziale Spektrum erweitert. Es ist großartig weibliche Gamer zu sehen und es ist etwas, wovon ich persönlich ein großer Fan bin. Wir haben hier sogar regelmäßig Gamer-Girls, die zu zweit oder zu dritt kommen. Und diese Mädchen sind auch die Gamer, die am meisten fluchen, am meisten brüllen und die größten Bad-Ass-People sind. Sie spielen Valorant und die fluchen, wie die Matrosen. Die Leute stehen daneben und denken “OMG! Das ist verrückt. Die gebens den richtig.” und das machts sogar noch cooler.  

Philosaur: Eine letzte Frage zum Abschluss. Wird Berlin der neue E-Sport Hot Spot?

Christian: Ich würd sagen, das ist es schon. Es ist Heimat von Big Clan, Heimat von G2, es ist Heimat des LEC Tournament. Wo sonst in Deutschland gibt es die Konkurrenz dafür? Es ist Heimat von RIOT!  

Philosaur: Danke

Kategorien: Games

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert